Anatomie:

→ I: Der M. biceps brachii ist ein großer Oberarmmuskel und besteht aus 2 Köpfen:

→ 1) Caput longum: Ursprung am Tuberculum supraglenoidale; setzt an der Tuberositas radii und flächig an der Fascia antebrachii an.

→ 2) Caput brevis: Ursprung am Processus coracoideus der Skapula (hier verschmilzt die Sehne z.T. mit der Sehne des M. coracobrachialis); Ansatz auch an der Tuberositas radii und der Fascia antebrachii.

II: Funktion: Beim M.biceps brachii handelt es sich um einen zweigelenkigen Muskel deren Hauptfunktion die Flexion ist. Das Caput longum ist u.a. auch bei der Abduktion und Innenrotation, das Caput brevis bei der Adduktion beteiligt.

728 Schematische Darstellung des M. biceps brachii

 

Ätiologie:

→ I: Proximale/lange Bizepssehnenruptur: Betrifft die Sehne im Bereich des Sulcus intertubercularis.

→ 1) Meist infolge von Bagatelltraumata bei degenerativ veränderter Sehne im Rahmen z.B. eines Impingement-Syndroms oder einer Bizepssehnentendinitis.

→ 2) Selten direkt durch Sturz auf den extendierten Arm.

 

Klinisch-relevant: Ursache ist der Verlauf der Bizepssehne zwischen dem Akromion und dem Humeruskopf, analog zur Supraspinatussehne, die häufig mitbetroffen ist.

 

II: Distale Bezepssehnenruptur:

→ 1) Die Ruptur der distalen Bizepssehne ist meist traumatisch durch kraftvolle ruckartige Hebebewegungen bzw. Gewalteinwirkung (z.B. Schlag) verursacht.

→ 2) Die Ruptur des Caput brevis ist mit 1% sehr selten und reißt zumeist ansatznah am Tuberculum radii.

 

Rupturlokalisation:

→ I: Proximale/lange Bizepssehne:

→ 1) Isolierte basisnahe Ruptur der langen Bizepssehne.

→ 2) SLAP-Läsion: (= Superior-Labrum-Anterior-to-Posterior): Meist bei jungen Sportlern auftretender Abriss des Bizepsehnenankers kombiniert mit einer Verletzung des Labrums.

→ 3) Proximal im Sulcus intertubercularis.

→ II: Distale Bizepssehne: Hier manifestiert sich die Ruptur nahe des knöchernen Ansatzes (= Tuberositas radii).

 

Klinik:

→ I: Proximale Bizepssehnenruptur:

→ 1) Häufig schmerzarm und von kurzer Dauer.

2) Charakteristischerweise bildet sich eine Verschiebung des Muskelbauchs nach distal Richtung Ellenbeuge aus.

→ 3) Der Funktionsverlust in der Abduktion und Flexion ist nur gering beeinträchtigt; die Patienten sind evtl. sogar beschwerdefrei.

→ II: Distale Bizepssehnenruptur:

→ 1) Plötzlich einsetzende Schmerzen, die z.T meist stark ausgeprägt sein können, evtl. besteht gleichzeitig ein peitschenartiger Knall.

2) Der Muskelbauch verlagert sich nach proximal und

→ 3) Es stellt sich meist ein ausgeprägter/kompletter Funktionsverlust (Flexion/Supination) ein.

 III: Begleitverletzung: Nicht selten manifestiert sich eine gleichzeitige Rotatorenmanschettenruptur, besonders häufig ist der M. supraspinatus (80% der Fälle) mitbetroffen.

 

Diagnose:

→ I: Anamnese/klinische Untersuchung:

→ 1) Proximale BSR: Tastbarer retrahierter Muskelbauch oberhalb der Ellenbeuge mit proximaler Dellenbildung.

→ II: Distale BSR: Tastbare Verlagerung des Muskelbauch in Richtung proximal in Richtung Schulter.

 

Klinisch-relevant: Wichtige klinische Untersuchungsverfahren bei der Bizepssehnenruptur sind insbesondere:

A) Speeds-Test: Es entwickeln sich gegen Widerstand Schmerzen im Bereich des Sulcus bicipitalis bei abduzierten, supinierten und im Ellenbogen gestreckten Arm.

→ B) Ludington-Test: Dient der Überprüfung der Funktion des M. biceps brachii.

 

III: Bildgebende Verfahren:

→ 1) Sonographie: Nachweis einer Kontinuitätsunterbrechung der Bizepssehne und eines Hämatoms im Bereich des Sulcus intertubercularis bzw. der Tuberositas radii.

→ 2) Röntgen: Der Schulter in 2 Ebenen bei der proximalen BSR, bei der distalen BSR das Ellenbogengelenk in 2 Ebenen zum Ausschluss knöcherner Ausrisse.

→ 3) MRT: Sehr sensitiv; gute Beurteilung von Begleitverletzungen wie z.B die Rotatorenmanschettenruptur.

 

Therapie:

→ I: Konservativ:

→ 1) Indikation: Nur im Rahmen einer langen/proximalen BSR bei beschwerdefreier Läsion mit geringer Kraftminderung. Betrifft vorwiegend ältere, sportlich-inaktive Patienten.

→ 2) Verfahren: NSAR-Gabe und Ruhigstellung mittels Gilchrist-Verband für ca 1 Woche, anschließend ist eine Physiotherapie mit Bewegungsaufbau indiziert.

→ II: Operativ:

→ 1) Indikation: Jede distale BSR und bei symptomreicher proximaler Ruptur (z.B. infolge einer Einklemmung des intraartikulären Sehnenstumpfes, SLAP).

→ 2) Operationsverfahren:

729 Operationsverfahren bei der Bizepssehnenruptur

 

Klinisch-relevant: Bekannte Operationstechniken sind v.a.:

→ A) OP nach Thompson: Es erfolgt eine Fixierung der Sehne direkt an der Tuberositas radii mittels Knochenanker.

→ B) OP nach Bunnell: Transossäre Ausziehnaht schräg durch die Tuberositas radii.

C) OP nach Wilhelm: Einzug einer autologen Sehne (z.B. Sehne des M. palmaris) in einen Bohrkanal an der Tuberositas und anschließende Fixation am Bicepssehnenstumpf.

 

3) Postoperativ: Ruhigstellung für 6 Wochen in einer Oberarmgipsschiene; sportliche Aktivitäten sollten erst wieder nach 3 Monaten erfolgen.

 

Prognose: Gerade bei der operativen Therapie, im Rahmen einer distalen BSR, besteht die Gefahr einer heterotopen Ossifikation und evtl. einer Nervenläsion.