Definition: Der Vorhofseptumdefekt stellt eine kongenitale offene Verbindung zwischen dem linken und rechten Vorhof (Links-Rechts-Shunt) dar und geht konsekutiv mit einer Volumenbelastung des rechten Ventrikels und des Lungenkreislaufs einher.

 

Epidemiologie:

→ I: Es macht etwa 25-30% der angeborenen Herzvitien im Erwachsenenalter aus, wobei Frauen häufiger als Männer betroffen sind.

→ II: Mit 80% der Fälle spielt der Ostium-secundum-Defekt, im Zentrum der Fossa ovale, die wichtigste Rolle.

 

Lokalisation: Nach der Lokalisation des Vorhofseptumdefektes unterscheidet man zwischen:

→ I: Ostium-primum-Defekt: (= ASD I)

→ 1) Stellt die 2. häufigste ASD-Form dar.

→ 2) Charakteristikum ist das Vorliegen einer Verbindung zwischen den beiden Vorhöfe unmittelbar vor der Atrioventrikulargrenze; es ist häufig mit einer Spaltbildung des anterioren Mitralklappensegels und konsekutiver Mitralklappeninsuffizienz vergesellschaftet. Das ASD I stellt ein Teil des Spektrum der AV-Kanal-Defekte dar und umfasst:

→ A) Partieller AV-Kanal: Spaltbildung des anterioren Mitralsegels mit konsekutiver Mitralinsuffizienz; ein Ventrikelseptumdefekt fehlt.

→ B) Kompletter AV-Kanal: Beinhaltet Ostium-primum-Defekt und Ventrikelseptumdefekt, Fehlbildung von Mitral- und Trikuspidalklappe sowie rudimentären Chordae.

→ II: Ostium-Secundum-Defekt:

→ 1) Ist mit 80% der Fälle die häufigste Form und manifestiert sich aufgrund einer Entwicklungsstörung des Septum secundum mit einer Shuntbildung im Zentrum des Fossa ovale.

→ 2) Der Ostium-secundum-Defekt ist gelegentlich mit einer Fehleinmündung der Lungenvenen assoziiert.

→ III: Sinus-venosus-Defekt: Der Septumdefekt liegt zumeist im Bereich der Einmündung der Vena cava superior, seltener der V. cava inferior. Häufig lässt sich eine Fehleinmündung der oberen Pulmonalvene nachweisen.

→ IV: Sinus-coronarius-Defekt: Der Coronarvenensinusdefekt ist sehr selten und es besteht eine Shuntbildung zwischen beiden Vorhöfen aufgrund einer deutlichen Vergrößerung des Coronarvenenostiums, das das Septum überschreitet.

490 WIchtige Charakteristika der verschiedenen Vorhofseptumdefekte

 

  Klinisch-relevant: Das persistierende Foramen ovale ist kein Vorhofseptumdefekt, sondern stellt vielmehr eine Normvariante dar.

 

Pathophysiologie:

→ I: Charakteristikum ist die Ausbildung eines Links-Rechts-Shunts, da der Druck im linken Atrium größer (physiologischerweise ist der Mitteldruck 5mmHg erhöht)  ist als im rechten. So kommt es, dass ein Teil des oxygenierten Blutes wieder durch die Lungenstrombahnen rezirkuliert.

→ II: In Abhängigkeit von der Defektgröße, der Compliance beider Ventrikel bzw. der Widerstandsgefäße, sowie der atriale Druckdifferenz, kann das Herzzeitvolumen im Pulmonalkreislauf deutlich größer sein als im Körperkreislauf.

III: Folge ist eine z.T. massive Volumenbelastung des rechten Vorhofs, der Trikuspidalklappe, des rechten Ventrikels, der Pulmonalklappe und nicht zuletzt des Lungenkreislaufs mit der Gefahr der Entwicklung einer pulmonalen Hypertonie, rechtsventrikulärer Hypertrophie und konsekutiver Eisenmenger Reaktion (= Shunt-Umkehr: Links-Rechts-Shunt → Recht-Links-Shunt) mit dem Charakteristikum der zentralen Zyanose.

805 Schematische Darstellung der wichtigen Vorhofseptumdefekte

 

Klinik:

→ I: Die klinische Symptomatik ist sehr variabel und richtet sich vor allem nach der Shuntgröße (bei sehr kleinen Defekten < 5mm kann es zu einem Spontanverschluss kommen).

→ II: Insbesondere kleine Septumdefekte bleiben lange Zeit subklinisch und klinische Beschwerden treten zumeist nach dem 40. Lebensjahr auf.

III: Charakteristische klinische Symptome sind u.a:

→ 1) Geringere körperliche Belastung, rasche Ermüdbarkeit und Belastungsdyspnoe.

→ 2) Kardiale Symptome:

→ A) Palpitation, supraventrikuläre Herzrhythmusstörungen insbesondere Vorhofflattern und Vorhofflimmern.

→ B) Ausbildung einer (Rechts-) Herzinsuffizienz.

→ 3) Des Weiteren entwickeln sich im weiteren Krankheitsverlauf rezidivierende pulmonale Infekte.

 

Komplikationen: Wichtige und schwerwiegende Komplikationen sind beim ASD:

→ I: Entwicklung von Embolien (z.B. Lungenembolie, paradoxe Embolie), Endokartitiden, insbesondere bei Klappenveränderungen, pulmonale Hypertonie und Hirnabszessen etc.

→ II: Im Spätstadium kann es zu einem akuten Rechtsherzversagen kommen.

 

Diagnose:

→ I: Anamnese/klinische Untersuchung:

→ 1) Inspektion: Die Patienten haben zumeist ein blasses Hautkolorit und weisen aufgrund einer rechtsventrikulären Volumenbelastung eine sicht- und tastbare Pulsation im 3-4 Interkostalraum parasternal links auf.

→ 2) Auskultation:

→ A) Charakteristikum ist ein fixierter (= atemunabhängiger) gespaltener 2. Herzton. Ursache ist ein verspäteter Pulmonalklappenschluss aufgrund einer verlängerten Auswurfzeit. 

→ B) Spindelförmiges Systolikum mit Punctum maximum über dem 2. ICR. parasternal links aufgrund einer relativen Pulmonalstenose.

C) Insbesondere bei einem ausgeprägten Rechts-Links-Shunt ist ein mesodiastolisches Geräusch im 4. ICR parasternal links infolge einer relativen Trikuspidalklappenstenose auskultierbar.

→ D) Evtl. frühdiastolisches Decrescendo-Geräusch (= Graham-Steell-Geräusch) bei relativer Pulmonalinsuffizienz.

493 Pathologische Herzgeräusche beim ASD

→ 3) EKG:

→ A) Während sich beim ASD I ein Links- bis überdrehter Linkstyp herauskristallisiert, zeigt sich beim ASD II ein Steil- bis Rechtstyp.

→ B) Besteht eine Rechtsherzbelastung ist ein zumeist inkompletter (kompletter) Rechtsschenkelblock mit einer rSR-Kammerkonfiguration in V1 (EKG-Befund: Schenkelblock allgemein) eruierbar.

→ C) Möglicher Nachweis von supraventrikulären Rhythmusstörung wie z.B. Vorhofflimmern, Vorhofflattern.

492 Charakteristische EKG Veränderungen beim Vorhofseptumdefekt

II: Bildgebende Verfahren:

→ 1) Röntgen Thorax:

→ A) Insbesondere bei großem Rechts-Links-Shunt zeigt sich eine vergrößerte Herzsilhouette

B) Nachweis eines prominenten Truncus pulmonalis, erweiterter Hilusgefäße sowie einer vermehrten arteriellen und venösen Lungengefäßzeichnung aufgrund einer gesteigerten Lungenperfusion.

→ 2) Echokardiographie:

→ A) Darstellung eines Konturdefekts im rechten Vorhof mittels TEE, eines dilatierten rechten Atrium, Ventrikels etc., sowie einer paradoxen Beweglichkeit des Vorhofseptums.

 

Klinisch-relevant: Das persistierenden Foramen ovale manifestiert sich echokardiographisch durch abnorme intraatriale Septumbewegung. Sie kann insbesondere durch einen provozierten Husten oder ein Valsalva-Manöver verstärkt werden.

 

B) Dopplergestützte Erfassung der Shuntrichtung mit Abschätzung des rechtsventrikulären und pulmonalarteriellen Druckes.

→ C) Des Weiteren können begleitende Herzanomalien wie z.B. Mitralklappeninsuffizienz durch Spaltbildung, Lungenvenenfehlmündungen etc. eruiert werden.

→ 3) Herzkatheteruntersuchung: Sie wird nur noch in Ausnahmefällen bei Verdacht auf einen vergesellschaftete Herzfehler, pulmonaler Hypertonie begleitender KHK durchgeführt.

 

Therapie: Insgesamt wirkt sich der Verschluss des Vorhofseptumdefektes positiv auf die Morbidität des Patienten unabhängig von Alter aus.

→ I: Allgemein: Therapieindikationen sind vor allem:

1) Symptomatische Patienten insbesondere in der Kindheit und frühen Adoleszenz.

→ 2) Rechtsventrikuläre Volumenbelastung > 1,5-2,0:1 (= hierbei handelt es sich um einen Quotienten aus Lungenzeitvolumen durch Körperzeitvolumen = Qp/Qs) bzw. > als 30% Minutenvolumens im kleinen Kreislauf.

→ 3) Zeichen einer Rechtsherzhypertrophie,

4) Prophylaxe einer paradoxen Embolie und nicht zuletzt bei

→ 5) Geplanter Schwangerschaft.

II: Interventionelle Katheterbehandlung:

→ 1) Bei diesem Verfahren wird ein Okkluder-System mittels Herzkatheter im Bereich des ASD implantiert und konsekutiv verschlossen.

→ 2) Therapietechnik: Der Herzkatheter, der auf seiner Spitze ein Schirmchen installiert hat, wird über den Defekt in das linke Atrium vorgeschoben. Durch das Zurückziehen des Katheters öffnet sich zuerst der distale, im linken Vorhof befindliche Schirmanteil. Durch weiteres Zurückziehen des Herzkatheters entfaltet sich sekundär dann auch der im rechten Vorhof liegende Schirmanteil.

→ 3) Das Verfahren wird vor allem auch beim ASD Typ II eingesetzt.

→ 4) Im Anschluss an die Behandlung ist eine 6-monatige Thrombozytenaggregationshemmung und eine Endokarditisprophylaxe indiziert.

494 Schematische Darstellung der interventionellen Therapie bei ASD

→ III: Operative Therapie:

1) Hierbei ist die umfangreiche präoperative Diagnostik zur Erfassung von weiteren Herzanomalien (z.B. Klappenvitium, Fehlmündung der Pulmonalvenen) obligat.

→ 2) Operationstechnik: Nach Einsatz der Herz-Lungen-Maschine erfolgt eine mediane Sternotomie oder ein minimal-invasiver Eingriff in Form einer rechtslateralen Thorakotomie bzw. partiell inferioren Mini-Sternotomie mit anschließendem Zugang über den rechten Vorhof. Abhängig von der Größe des Vorhofseptumdefektes wird er entweder durch eine Naht direkt oder durch Einsatz eines Perikard- bzw. Kunststoffflickens verschlossen.

3) Ultima ratio bei Eisenmenger Reaktion ist die Lungentransplantation mit gleichzeitigem ASD  Verschluss oder die Herz-Lungentransplantation.

 

Postoperative Komplikationen:

→ I: Relativ häufig bildet sich ein Postkardiotomie-Syndrom aus.

II: Persistenz von Herzrhythmusstörungen wie Vorhofflimmern, supraventrikuläre Reentry-Tachykardien etc.

→ III: Weiterbestehen einer pulmonalen Hypertonie, einer Störung der links-/rechtsventrikulären Pumpfunktion etc.

Prognose:

→ I: Bei geringem Shuntvolumen sind zumeist die körperliche Leistungsfähigkeit und die Lebenserwartung nicht eingeschränkt.

→ II: Bei elektiven Interventionen liegt das Operationsrisiko < 1%.