Definition:

→ I: Bei der hypochondrischen Störung stehen objektiv unbegründete, jedoch anhaltende Krankheitsbefürchtungen und -überzeugungen im Vordergrund (fällt in die Guppe der somatoformen Störungen)

→ II: Körperliche Beschwerden und Missempfindungen werden als Vorbote einer schweren Erkrankung (z.B. AIDS, Malignom) angesehen, obwohl keine organischen Ursachen nachweisbar sind.

→ III: Des Weiteren zählt zur Hypochondrie auch die dysmorphophobe Störung. Hierbei handelt es sich um eine anhaltende, übertriebene Beschäftigung mit einem objektiv nicht-existenten Schönheitsmakel (zu große Nase, etc.), der einen erheblichen Leidensdruck hervorruft; wird auch als Dysmorphophobie bezeichnet.

 

Epidemiologie:

→ I: Die Prävalenz in allgemein-medizinischen Praxen liegt zwischen 3-14%, wobei Frauen genauso häufig wie Männer betroffen sind; eine familiäre Häufung ist bei der hypochondrischen Störung bekannt.

II: Der Manifestationsgipfel liegt zwischen dem mittleren und höheren Lebensalter (zumeist vor dem 50. Lebensjahr).

 

Klinik:

→ I: Anhaltende Überzeugung an einer schwerwiegenden Erkrankung zu leiden, auch wenn wiederholte Untersuchungen keine körperliche Erklärung geben.

→ II: Die hypochondrischen Befürchungen beziehen sich oftmals auf das Herz, den Magen-Darm-Trakt, Harn- und Geschlechtsorgane oder das ZNS.

→ III: Die wiederholten ärztlichen Versicherungen, nicht krank zu sein, werden nicht akzeptiert, vielmehr werden weitere klinische Untersuchungen von anderen Ärzten eingefordert = sogenanntes "Doktor-Shopping".

→ IV: Infolge der dauerhaften gedanklichen Beschäftigung sind soziale Beziehungen und berufliche Leistungsfähigkeiten immens gestört bzw. eingeschränkt.

→ V: Weitere Symptome: Sind u.a. Allgemeine Klagsamkeit, innere Unruhe und ängstliche Selbstbeobachtung.

→ VI: Bei der Dysmorphophobie klagen die Betroffenen über Mängel der körperlichen Erscheinung, oftmals im Gesichtsbereich (z.B. zu große Nase, Falten, Pigmentstörungen, vermehrte Gesichtsbehaarung, etc.).

 

 Klinisch-relevant: Das Symptom "Dysmorphophobie" kann auch ein Wahnzeichen für eine schizophrene Störung sein.

 

Komorbidität: Nicht selten gehen die hypochondrischen Störungen mit weiteren psychischen Erkrankungen einher. Hierzu zählen u.a.:

→ I: Angststörungen, insbesondere die generalsierte Angststörung (bis zu 70% der Fälle) und die Panikstörung (bis zu 16%).

→ II: Depressive Episoden (bis zu 45% der Fälle) und die Dysthymie.

→ III: Somatisierungsstörungen sowie die

→ IV: Persönlichkeitsstörungen vor allem die paranoide PS, ängstlich-vermeidende PS oder die histrionische PS.

 

Diagnose:

→ I: Nach ICD-10 müssen die Symptome mindestens über einen Zeitraum von 6 Monate bestehen.

→ II: Es sollte ein gewissenhafter Ausschluss somatischer Erkrankungen erfolgen.

621 Diagnosekriterien der Hypochondrie nach ICD 10

 

Klinsich-relevant: Die Untersuchungen müssen gezielt und unter Vermeidung unnötiger Diagnostiken erfolgen, um eine somatische Fixierung auf körperliche Symptome zu unterdrücken.

 

Differenzialdiagnose:

→ I: Vorübergehende hypochondrische Befürchtungen: Hierbei halten die Beschwerden weniger als 6 Monate an.

→ II: Hypochondrischer Wahn, bei dem sich der Patient nicht über ein kurzes Zeitintervall von seiner Überzeugung (z.B. durch eine weitere Untersuchung) distanzieren kann.

→ III: Schizohrenie: Insbesondere die Zönästhesien, als abnorme Leibesgefühle und -empfindungen, stellen keine Befürchtungen dar.

→ IV: Somatisierungsstörungen: Hierbei bestehen körperliche Beschwerden ohne eine spezifische Krankheitsbefürchtung.

→ V: Andere Erkrankungen wie Depression, Angststörungendissoziative Störungen/ Konversionsstörungen.

234 Klinische Unterscheidungsmerkmale der Hypochrondrie bzw. Somatisierungsstörung

 

Klinisch-relevant: Medical-students-disease: (= Gesundheitsangst) Studenten, gerade in den klinischen Semestern, berichten über vorübergehende hypochondrische Ängste. Hierbei werden somatische Beschwerden vermehrt wahrgenommen und organischen Erkrankungen zugeordnet, die im jeweiligen Semester behandelt wurden.

 

Therapie: Die Behandlung der Hypochondrie gestaltet sich oftmals als sehr schwer, da die Betroffenen primär keine Einsicht über die Krankhaftigkeit ihrer Vorstellungen und Befürchtungen haben; in diesem Zusammenhang werden die psychotherapeutischen Interventionen häufig abgelehnt.

→ I: Psychotherapie:

→ 1) Vorrangiges Ziel ist die Psychoedukation mit umfangreicher Aufklärung über die Erkrankung und Förderung der Akzeptanz nicht-medizinischer Interventionen durch Aufbau von z.B. Coping-Funktionen.

→ 2) Gerade bei den hyochondrischen Störungen hat sich die kognitive Verhaltenstherapie mit Umstrukurierung dysfunktionaler Kognitionen durch Aufbau eines adäquaten Erklärungsmodells für somatische Symptome (der Patient soll lernen Köperempfindungen neu zu bewerten) etabliert. Weitere Therapieoptionen sind u.a. die Expositionstherapie, das Körperwahrnehmungstraining und die kognitiv-behaviorale Therapie.

→ 3) Ergänzende Therapiemaßnahmen: Haben sich als hilfreich erwiesen und umfassen

→ A) Entspannungsverfahren wie die progressive Mukelrelaxation und das Biofeedback,

→ B) Sport und Bewegunstherapie aber auch

→ C) Förderung sozialer Kontakte und Freizeitbeschäftigung.

→ II: Pharmakotherapie: Sie wird zumeist nur begleitend eingesetzt z.B.:

→ 1) Applikation eines schwach- bzw. leichtpotenten Anxiolytikums wie Opipramol (Dosierung 100mg/d), Buspiron (10mg/d) oder Hydroxyzin (50mg/d)

 2) Es gibt für die Antidepressiva aus der Gruppe der SSRI, wie z.B. Fluoxetin, gute Behandlungshinweise, insbesondere bei begleitender depressiver Verstimmung und Angst.

→ 3) Die Substitution von Neuroleptika kann bei extrem ausgeprägten hypochondrischen Überzeugungen (Neigung zum Wahnhaften) erwogen werden.

 

Verlauf/Prognose: Die hypochondrische Störung weist häufig einen chronisch-rezidivierenden bzw. chronisch-progredienten Verlauf mit starker Symptomfluktuation auf. Psychosozialer Stress triggert das Auftreten der Symptome und wiederholte Untersuchungen und Krankenhausaufenthalte tragen zur Verfestigung der Erkrankung bei. Bei ca. 50% der Betroffenen manifestiert sich im weiteren Krankheitsverlauf eine Besserung.