Definition: Beim Myxödemkoma handelt es sich um ein seltenes, lebensbedrohliches Krankheitsbild, das sich schleichend (über Monate bis Jahre) aufgrund eines chronischen SD-Hormonmangels (= Thyroxinmangel) entwickelt. Man spricht auch von einer Exazerbation einer Hypothyreose.

 

→ Epidemiologie:

 I: Die Inzidenz liegt bei 30 Fällen/Jahr, wobei Frauen 4x häufiger als Männer betroffen sind. 

→ II: Der Manifestationsgipfel liegt um das 70. Lebensjahr.

 

Ätiologie: Es entsteht oftmals bei (chronisch) primärer Hypothyreose, sekundärer/tertiärer Hypothyreose bzw. chronischer Autoimmunthyreoiditis, aber auch nach Thyreoidektomie oder Radiotherapie zumeist verbunden mit einer inadäquaten Hormontherapie. Triggernde Faktoren sind dann unter anderem:

→ I: Infektionserkrankungen (Pneumonien, Harnwegsinfekte wie z.B. Zystitis, akute Pyelonephritis, etc.).

→ II: Kardiovaskuläre Erkrankungen (ZNS-Insulte, Myokardinfarkt).

→ III: Operationen und Polytraumata und gastrointestinale Blutungen.

→ IV: Medikamente wie Thyreostatika, Lithium, Amiodaron aber auch Diuretika und Sedativa.

→ V: Auch der abrupte Abbruch einer Schilddrüsenhormontherapie kann ein Myxödemkoma verursachen.

 

Klinik:

→ I: Hypothermie: Mit eiskalter, blasser, teigiger Haut, die Körpertemperatur ist auf bis zu 24°C erniedrigt, rektal z.T. nicht messbar (die Hypothermie hat einen besonderen klinischen Stellenwert).

→ II: Hypoventilation: Ausbildung einer respiratorischen Azidose infolge einer alveolären Hypoventilation mit Hypoxämie und Hyperkapnie bis hin zur CO2-Narkose. Sie bestimmt im Wesentlichen die Prognose.

III: Herz: Bradykardie, arterielle Hypotonie, QT-Verlängerung (Rhythmusstörungen), leichte bis mäßige Herzinsuffizienz sowie die Entwicklung ein eines Perikardergusses (Myxödemherz).

 IV: Bewusstsein: Lethargie mit zunehmender Bewusstseinseintrübung, Somnolenz bis hin zum Koma.

→ V: Weitere Symptome: Sind PleuraergussAszites (Exsudat), Muskelschwäche, fehlende Sehnenreflexe, zerebrale Ataxie sowie Krampfanfälle, periorbitale Schwellung, Ptose, Heiserkeit, aber

auch normochrome, normozytäre Anämie, Leukozytopenie sowie die Zeichen einer Hypothyreose mit Antriebsarmut, Schwäche und depressive Verstimmung (evtl. Depression).

 

Diagnose:

→ I: Anamnese/klinische Untersuchung: Eruierung von früheren Schilddrüsenerkrankungen, ständigem Frieren, physischer wie psychischer Verlangsamung, erhöhtem Schlafbedürfnis, etc. Bei der klinischen Untersuchung manifestiert sich u.a.:

→ 1) Myxödem (teigige Schwellung der Subcutis), sowie trockene kalte Haut und spröde Haare.

→ 2) Gesichtsschwellung.

→ 3) Heiserkeit und gegebenenfalls Schwerhörigkeit, etc.

→ II: Labor:

→ 1) Bestimmung von TSH-basal (erhöht > 4,0) und T3/T4 (deutlich erniedrigt). Hierbei hat TSH keine Aussagekraft über den klinischen Schweregrad, sondern vielmehr das klinische Bild des Patienten sowie die peripheren Schilddrüsenhormone T3/T4.

→ 2) Nachweis einer normochromen, normozytären Anämie und einer Leukozytopenie,

→ 3) BGA: Respiratorische Azidose mit Abfall des pH-Wertes, Hypoxämie und Hyperkapnie.

→ 4) Weitere Laborparameter: Hypovolämie, Elektrolytverschiebungen wie Hyponatriämie, Hypokaliämie, abe rauch Hypoglykämie, Erhöhung der Kreatinkinase und bakteriologische Untersuchung.

65 Charakteristische Befundung des Myxödemkomas

 III: EKG: Nachweis einer Bradykardie, weitere Herzrhythmusstörungen, QT-Verlängerung und nicht zuletzt eines Niedervoltage-EKG.

→ IV: Röntgen-Thorax: Kardiomegalie, Nachweis eines Pleura- oder Perikardergusses.

 

→ Differenzialdiagnose: Von dem Myxödemkoma müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:

→ I: Endokrin:

→ 1) Coma diabeticum (hyperosmolares Koma/ ketoazidotisches Koma),

→ 2) Hypophysäres Koma,

→ 3) Laktatazidose.

→ II: Psychiatrisch: 

→ 1) Depression

2) Pharmakointoxikation (z.B. Lithiumintoxikation),

→ III: Neurologisch: Enzephalitis, apoplektische Insulte.

 

Therapie:

→ I: Allgemein: Intensivmedizinische Überwachung mit Kontrolle und Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen (Puls, RR, Temperatur, Atmung, ZVD, BGA):

→ 1) Elektrolyt- und Flüssigkeitssubstitution mit einer isotonen Na+Cl--Glukose-Infusion (Cave: beim Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion/SIADH) unter ZVD-Kontrolle.

→ 2) Bei symptomatischer Bradykardie ist die Anlage eines passageren Schrittmachers zu erwägen.

→ 3) Atemüberwachung: Frühzeitige Intubation mit kontrollierter Beatmung,

→ 4) Langsames Aufwärmen (1°C/Stunde), ansonsten besteht die Gefahr des kardiogenen Schocks durch eine periphere Vasodilatation. 

→ II: Medikamentös:

→ 1) Hormonsubstitution: Initial einmalige Bolustherapie mit 500µg L-Thyroxin i.v. ab dem 2. Tag 100µg/d intravenös bis zur klinischen Stabilisierung und Normalisierung des fT4, nachfolgende Umstellung auf eine orale Applikation mit einer Tagesdosis von 75-100µg/d. Die Applikation von Schilddrüsenhormonen sollte nur in Form des Levothyroxin (T4) erfolgen, da Trijodthyronin (T3) das Komplikationsrisiko und vor allem kardiale Rhythmusstörungen auslösen kann. 

054 Medikamentöse Therapie des Myxödemkomas

→ 2) Zur Prophylaxe einer möglichen NNR-Insuffizienz Gabe von 100mg Hydrocortison alle 8 Stunden, da ein Schilddrüsenhormon-Anstieg zu einer Überforderung der hypophysären-adrenokortikalen Achse führen kann.

3) Herzinsuffizienz: Gabe eines Diuretikum evtl. in Kombination mit einem ACE-Hemmer.

→ 4) Bei Infektionen: Therapie mit einem Breitbandantibiotikum bis die Keimbestimmung mittels Blutkulturen erfolgt ist (nachfolgend Antibiotikagabe nach Antibiogramm).

 

→ Klinisch-relevant: Beim hypothyreotischen Koma bestehen (relativ/absolut) Kontraindikationen für folgende Medikamente:

→ A) Sedativa: Fördern die Atemdepression,

→ B) Katecholamine: Wie Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin und Dobutamin können die Ausbildung von schweren Herzrhythmusstörungen und eines Myokardinfarktes induzieren.

→ C) Bei zu schneller iatrogener Natriumaufsättigung besteht die Gefahr der Ausbildung einer zentralen pontinen Myelinolyse.

 

→ Prognose: Trotz adäquater intensivmedizinischer Behandlung liegt die Mortalität beim Myxödemkoma noch bei bis zu 50% der Fälle.